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Interview der Bravo mit Thomas Hecht
CK: Ich spiele jetzt mal den Reporter von der BRAVO und möchte wissen: wenn sie Hinweise auf
ihre konzeptionelle Kontinuität geben sollen, was sagen sie dann ?
TH: (zögert)... Jau...(lacht).. Wie war ihre Frage?
CK: Herr Hecht, stellen sie sich vor, sie hätten ein Buch geschrieben, einen Bestseller, und hätten jetzt drei Millionen Mark auf dem Konto.
TH: Drei Millionen...Sparkasse Bielefeld...
CK: Was kaufen sie als erstes?
TH: Das kommt immer auf die Situation an. Also, stellen sie sich mal vor, ich stehe... die rufen mich
an und sagen "Das Geld ist da."...ich stürme zur Straßenbahn...äh nee, ich setzte meinen Walkman
auf, weil ich hör gerne Musik in der Straßenbahn. Ich kucke ob ich Zigaretten dabei habe und mein
Feuerzeug, zieh mir neue Schuhe an, Socken muss ich auch wieder waschen, muss Monika anrufen.
Hab jetzt drei Millionen aufm Konto. Was kauf ich mir zuerst? Ja... was... erst mal überlegen... ne
Videokamera für meinen Film, dann kauf ich mir... also eins nach dem andren...ich mache mir ne
Liste...ich möchte gern ein Segelflugzeug haben, kauf ich mir nen` Segelflugzeug. Wie mach ich das?
Muss ich in'n Club, muss ich'n Schein für haben. Was kost das? Muss ich dahin...dann Music Shop,
Instrumente aussuchen...Trommeln, alles Mögliche, was man so braucht. Ja, dann brauch ich mehr
Platz, ne größere Wohnung.
CK: Würden sie...
TH: Am besten ein Haus kaufen mit Monika zusammen, meiner großen Liebe in Florenz
CK: Würden sie auch Lebensmittel kaufen von dem Geld?
TH: Man kann doch im Restaurant essen, ist doch viel schöner.
CK: Das kostet aber mehr Geld, als wenn man bei Aldi einkauft.
TH: Ja, das stimmt (lacht). Ich hab doch bei Aldi, ich war bei Aldi, da stand ich so lange in der
Schlange, hab ich's nicht mehr ausgehalten. Die Türkin kuckte mich ganz böse an, ich kuckte ganz
giftig zurück. Mir war nämlich mein Fruchtquark runter gefallen und weil die so mit dem Band so
wild durch die Gegend schob und meine Sachen immer so von alten Damen fast runter geschoben wurden, die hatten es furchtbar eilig ins Grab zu kommen.
CK: Herr Hecht...
TH: Moment, ich bin noch nicht fertig. Ich hab, ich hab meinen Quark da auf dem Laufsteg
aufge...ausgedrückt, hab mit dem Aldifilialleiter debattiert und musste dann das Etablissement
verlassen. Tja, so war das. Meine Quarkspeise lag noch auf dem Laufsteg, als ich gegangen bin, hatte meine Sachen eingepackt und bin gegangen. Seitdem kauf ich nicht mehr bei Aldi.
CK: Herr Hecht, sie haben Hausverbot im Rathaus, Hau...
TH: Nee, nich` im Aldi, hab ich kein Hausverbot, aber ich geh da nich` mehr hin, weil das Erlebnis hat mich dermaßen schockiert... ich kauf mir lieber ne Tafel Schokolade, wenn ich noch eine Mark habe oder zwei, weil das ist Energienahrung, Raumfahrernahrung...und...find ich wesentlich
ökonomischer. Kann man doch so essen, ist besser als'n Cheeseburger.
CK: Sie haben Hausverbot im Rathaus, Hausverbot im Casablanca, bei Aldi sind sie
rausgeflogen.. .was war denn da kürzlich bei Mc Donalds?
TH: Ja, die wollten mir keinen Kaffee geben.
CK: Warum nicht?
TH: Ja fragen sie die doch mal, ich weiß das doch garnicht.
CK: Und wie ist das weitergegangen? Die wollten ihnen keinen Kaffee geben, und dann?
TH: Da hab ich das, daß die besser drankommen, hab ich das auf den Boden geschmissen, na ja, das
hat mich'n bisschen geärgert. Ich dachte: wieso geben die dir keinen Kaffee?
CK: Was haben sie auf den Boden geschmissen?
TH: Ja, diese Markstücke da, die ich in der Tasche hatte.
CK: Und damit war man nicht zufrieden...
TH: Nee, die wollten dann die Polizei rufen, weil...war ihnen nicht genug Geld oder so.
CK: Und? Ist die Polizei gekommen?
TH: Natürlich.
CK: Was haben die denn gesagt?
TH: Ja, dass ich sofort da raus muss und dass ich keinen Kaffee kriege.
CK: Und sie waren enttäuscht...
TH: Ich glaube mein Geld ist ein anderes Geld als hier auf dieser Welt existiert, also mein Geld hat
einen anderen Wert scheinbar.
CK: Zu welcher Tageszeit war das denn?
TH: Das war, äh ja, deswegen musste ich ja zu Mac Donalds, das war ganz früh morgens an einem
Dienstag, nach einer Nacht in Bielefeld, wo alle Kneipen und Lokalitäten um eins zumachen und man ganz allein in dieser Stadt ist und sich verlassen vorkommt wie ein blöder Hund. Und dann macht das Mac Donalds Ding um sieben auf und das ist der einzige Ort, wo man mal ein Brötchen essen kann
und'n Kaffee trinken.
CK: Haben sie häufig Hunger?
TH: Ja, aber der Hunger ist mehr moralischer Natur.
CK: Also, sie hungern auch schon seit 14 Jahren nach der geistig-moralischen Wende in diesem Land..
TH: Ja, ich bin da mit Kafka einer Meinung.
CK: Kafka war kürzlich zum Kaffee bei ihnen. Was hat er denn berichtet aus Hottentottenland?
TH: Er konnte kaum sprechen.
CK: Hatte man ihm alle Weisheitszähne auf einmal gezogen?
TH: Nee, er hat sich an so'm Typen im Büro verschluckt.
CK: (schweigt)
TH: (schweigt auch, dann:) ...Bob Dylan...und dann Eurythmics. Und dann mach ich'n bisschen Rory Gallagher Blues, aber auf Tango, mit Flamenco drin, aber der Rythmus vom Bossa Nova, dann geh ich wieder auf Bossa Nova und dann mach ich'n bisschen auf Bossa Nova Jazz, Free Style Jazz, Bossa Nova Avantgarde. Dann geh ich die Harmonien rauf und runter und geh wieder auf d-Dur, dann rutsch ich auf d-Dur in'n Fünften und hoch in'n Siebten und dann spiele ich wieder runter, von C, ganz oben, äh, dreizehnter Bund oder so, spiel ich wieder, nee, also auf der h-Saite, also der dreizehnte Bund auf der h-Saite, spiel ich dann wieder runter, auf Flamenco schön, einmal das Griffbrett rauf und runter, bis zum Bass wieder, und dann geh ich wieder in'n Bossa Nova rein, bum bums, Wechsel,
Basswechsel, ganz einfach. Sie, das mach ich ihnen in ein paar Jahren, kein Problem.
CK: Sie antworten jetzt schon eine ganze Weile auf eine nicht gestellte Frage. Wie erklären sie sich das?
TH: Soll ich's ihnen mal ehrlich sagen? Ich weiß es selber nicht. Ich, ich fühle es. Ich fühle die Takte, wenn sie...passen sie mal auf: was das Geheimnis ist, glaube ich, dabei: ich hab die wunderbare Erfahrung, ich durfte das wunderbare Erlebnis machen, ich konnte auf einmal so wunderbar spielen, einfach deswegen, weil ich nicht nur den Takt fühle, in dem Moment, wo er gespielt wird, ich kann, wenn ich Musik höre, ich kann mich da so reinfühlen, nach `ner Zeit, ich brauche eine gewisse Anlaufzeit, ja. Wenn ich einmal drin bin, ich höre den Takt, ich spiele aber nicht zu dem Takt, ich höre nicht den Takt, der gespielt wird, ich höre schon den nächsten Takt klingen und ich spiele in den rein, weil ich höre den Takt, der nächste Takt, der kommt, den höre ich schon vorher. Wie kann man das erklären, Herr Krampe, ich weiß es nicht.
CK: Sie sagten, sie möchten in zehn Jahren vier Stunden Medley über 300 Stücke spielen und in zwanzig Jahren eine Stunde Medley über 500 Stücke.
TH: Ja, wenn ich mich da mal verspiele, dann spiele ich ne Blue Note rein und komme genau wieder auf dem Anfangstakt raus. Das ist das Geheimnis, das ist der ganze Trick dabei. Wenn ich mich da verspiele, geh ich einmal runter auf n Halbtonschritt, und schon bin ich wieder voll in der Gegenwart. Zukunft, Vergangenheit, Gegenwart: Pendel.
CK: One size fits all. Würden sie das unterschreiben?
TH: (schweigt)
CK: Danke für das Gespräch, Herr Hecht.
"Interview der Bravo mit Thomas Hecht" © Thomas Hecht (1997)
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